«Wir sind wieder da» – die gefährlichen «Reichsbürger»

Seit einigen Jahren treten selbsternannte «Reichsbürgerinnen und -bürger» in der Kommunalpolitik, aber auch mit Drohbriefen und gewaltsamen Übergriffen verstärkt in die Öffentlichkeit. Sie propagieren die Fortexistenz eines Deutschen Reichs und stützen ihre Gedankenwelt auf antisemitische und geschichtsrevisionistische Elemente. Eine neue Publikation der Amadeu Antonio Stiftung klärt über die Hintergründe auf und zeigt Gegenstrategien.

Im April 2012 schrieb eine auf den ersten Blick skurrile Meldung Schlagzeilen: Der Berliner Daniel S. weigerte sich, Steuern zu zahlen – als »Reichsbürger« unterstehe er nicht den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland. Als die Steuerfahndung die Berliner Polizei um Amtshilfe bat, machte diese eine erschreckende Entdeckung: Daniel S. lehnte nicht nur die Forderungen des Fiskus ab, er hortete auf seinem Gelände auch große Mengen Chemikalien, die zum Bau von Sprengsätzen notwendig sind. Im Prozess, der im April 2014 eröffnet wurde, gab der selbst ernannte »Reichsbürger« nun an, Opfer einer Sekte geworden zu sein.

So abstrus diese Episode klingen mag, macht sie doch deutlich, dass diese vermeintlichen »Reichsbürger/innen« keinesfalls unterschätzt werden dürfen. Zwar beschäftigen sich Einzelne seit Jahren mit dieser Ideologie — doch noch immer sind die meisten Verwaltungsbehörden und zivilgesellschaftlich Handelnden mit der pseudojuristischen Argumentationsweise der Reichsideologen überfordert.

Die Reichsideologie besteht seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, in ihrer aktuellen Form seit den 1980er Jahren. Die Reichsbürger behaupten, dass die Bundesrepublik nicht existiere, eine Besatzungsmacht der Alliierten darstelle, eine Firma oder illegal sei. Stattdessen fabulieren sie die Fortexistenz eines historischen Deutschen Reichs und seiner Grenzen.

Wer sie sind: Reichsbürger, Staatenlose, Selbstverwalter

Wie viele Reichsideologinnen und –Ideologen es genau gibt, ist nur schwer zu sagen. Die Bundesregierung ging im Jahr 2012 von einer „unteren dreistelligen Zahl“ von Personen aus, die dem rechtsextremen Spektrum klar zuzuordnen sind. Viele von ihnen treten als Einzelpersonen auf, manche organisieren sich in losen Gruppen, selbsternannten „Regierungen“, feudalen Strukturen oder Parteien.

Ob „Reichsbürger“, „Angehörige des Deutschen Reiches“ oder „Staatenlose“: die Reichsideologie stützt sich auf rechtsextremes Gedankengut.

Was sie denken: Antisemitismus, Revisionismus, Chauvinismus

Die Existenz der Bundesrepublik Deutschland wird von den Reichsideologen durch Verschwörungen erklärt und dabei nutzen sie oft antisemitische Stereotype. Der Glaube an eine „jüdische Weltverschwörung“ bietet Schnittstellen zu Verschwörungstheorien, Völkischer Kapitalismuskritik und rechter Esoterik. Auch der Gebietsrevisionismus wird bedient, denn die Wiederherstellung des Deutschen Reichs schließt die Aneignung fremder Staatsgebiete mit ein.

Die Argumentation der Reichsideologie knüpft nicht nur an rechtsextreme Denkweisen an. Auch Staats- und Völkerrecht werden passagenweise zitiert und aus dem Zusammenhang gerissen. Mit diesen scheinbar „fundierten“ Argumentationen beschäftigen die Reichsbürger Verwaltungen und Kommunen.

Was sie tun: Schulungen, Drohungen, Selbstjustiz

Das geht so weit, dass sie sich weigern, Steuern oder Ordnungsgelder zu zahlen. Stattdessen maßen sie sich an, selbst „Regierungsgeschäfte“ zu führen. Sie finanzieren ihre Aktionen, indem sie „Reichs“-Dokumente ausstellen oder Dienstleistungen anbieten. Die Ideologie geht so weit, dass sie sich Mitteln der Selbstjustiz legitimiert fühlen und sogar Todesurteile wegen „Hochverrats“ aussprechen. Auch Privatpersonen und Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens werden im Namen der Reichsideologie bedroht.

Neue Handreichung

Die Reichsideologie ist eine Mischung verschiedenster Ideologien. Und ihre Anhängerschaft ist zum Teil unberechenbar. In den letzten Jahren treten Reichsideologinnen und –Ideologen immer offensiver auf und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück.

Wie ist die Reichsideologie überhaupt entstanden? Was sind ihre grundsätzlichen Elemente? Und was kann gegen die Verbreitung ihrer rechtsextremen Gedanken getan werden? Hilfe bei der Auseinandersetzung bietet die neue Handreichung «'Wir sind wieder da' — Die 'Reichsbürger': Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrategien», die bei der Amadeu Antonio Stiftung erhältlich ist.

Gefördert wurde die Publikation durch das Bundesministerium des Innern im Rahmen des Bundesprogramms «Zusammenhalt durch Teilhabe».

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