Was kann die moderne reproduktionsmedizin gegen den kindermangel in Deutschland tun?

Deutschland gehört zu den kinderärmsten Ländern der Welt. Die Familienpolitik versucht seit einiger Zeit, dies zu ändern. Die vorliegende Studie untersucht, ob auch die Reproduktionsmedizin einen Beitrag dazu leisten kann.

12,8 Millionen Menschen zwischen 25 und 59 Jahren in Deutschland wünschen sich sehnlich Kinder oder haben sich früher welche gewünscht. Darunter sind 1,4 Millionen, bei denen es mit dem Schwangerwerden nicht klappte, obwohl sie mehr als ein Jahr lang «probiert» haben. Das Problem ungewollter Kinderlosigkeit aus medizinischen Gründen wurde bislang kaum öffentlich diskutiert. Angesichts sinkender Geburtenzahlen könnte sich dies ändern: Im Mittel der letzten zehn Jahre (1997 bis 2006) kamen in Deutschland jährlich 14.000 Babys weniger zur Welt als jeweils im Vorjahr. Dieser Rückgang fiele noch drastischer aus, wären nicht im Zeitraum 1997 bis 2005 insgesamt rund 95.000 Kinder nach Befruchtung außerhalb des Körpers geboren worden, also durchschnittlich rund 10.000 Babys pro Jahr.

Eine neue Studie mit dem Titel «Ungewollt kinderlos», die das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung gemeinsam mit dem Institut für Demoskopie Allensbach erarbeitet hat, geht der Frage nach, welchen Beitrag die Fortpflanzungsmedizin zur Abmilderung der demografischen Krise in Deutschland leisten kann. Fazit: Neben einer modernen Familienpolitik und neben vermehrter Prävention zur Vermeidung medizinisch bedingter Unfruchtbarkeit könnte die Medizin Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch helfen und so in gewissem Umfang die Geburtenstatistik erhöhen. Würde die künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation oder IVF) in vergleichbarem Ausmaß wie in Dänemark genutzt, dem Land mit der höchsten Zahl von IVF-Behandlungen pro Einwohner, könnten sie sogar einen wesentlichen Beitrag leisten.

In Deutschland betrug 2002 der Anteil der IVF-Kinder an der Gesamtzahl der Neugeborenen 1,9 Prozent, erreichte 2003 sogar 2,6 Prozent, um danach auf 1,4 und schließlich auf 1,0 im Jahre 2005 abzusinken. Der starke Anstieg und der nachfolgende Rückgang sind unter anderem darauf zurück zu führen, dass seit der Gesundheitsreform, die am 1. Januar 2004 in Kraft trat, die gesetzlichen Krankenversicherungen nur noch 50 Prozent der Kosten für maximal drei Behandlungen übernehmen, während sie zuvor vier Behandlungen voll zahlten. 2003 begaben sich deshalb viele Paare in Behandlung, die sonst vielleicht noch gewartet hätten. Der Durchschnittswert für die Jahre 2000 bis 2005 beträgt 1,65 Prozent.

In Dänemark hingegen, wo Paare mit unerfülltem Kinderwunsch drei Behandlungen voll bezahlt bekommen, vorausgesetzt, diese werden an einer öffentlichen Klinik durchgeführt, tragen IVF-Kinder in stärkerem Ausmaß zur Geburtenstatistik bei: 2002 lag ihr Anteil an der Gesamtzahl der Neugeborenen bei 4,2 Prozent, im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2005 bei 3,96 Prozent, also fast zweieinhalb Mal höher als in Deutschland.

Berechnungen im Rahmen der neuen Studie des Berlin-Instituts zeigen, dass es bereits erkennbaren Einfluss auf die demografische Entwicklung der Bundesrepublik bis zum Jahre 2050 hätte, wenn der Anteil der nach Befruchtung außerhalb des Körpers zur Welt gekommenen Kinder an der Gesamtzahl der Neugeborenen auf dem durchschnittlichen Niveau der letzten Jahre bliebe («deutsches Modell»). Deutlich erkennbar wären die Auswirkungen, wenn dieser Anteil ab sofort, das heißt, von 2007 an, auf das Niveau Dänemarks anstiege und dort bis 2050 verharrte («dänisches Modell»).

Nach dem deutschen Modell stiege der Anteil der IVF-Kinder beziehungsweise deren Kinder und Kindeskinder bis zum Jahr 2050 bei den dann Null- bis Vierjährigen auf drei Prozent. Insgesamt würden bis zum Jahr 2050 nach dieser Berechnung rund 750.000 Kinder in Deutschland ihr Leben direkt oder indirekt den Methoden der Reproduktionsmedizin verdanken.

Nach dem dänischen Modell würde der Gesamtanteil der IVF-Kinder einschließlich deren Nachkommen bis in die zweite Generation im Jahre 2050 bei den dann Null- bis Vierjährigen 7,2 Prozent erreichen. Er fiele also fast zweieinhalb Mal so hoch aus wie im ersten Szenario. Insgesamt wären in Deutschland nach dem dänischen Modell bis 2050 1,6 Millionen Kinder zur Welt gekommen, die direkt oder indirekt auf eine Befruchtung außerhalb des Körpers zurückgingen.

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