Christine Wunnickes herrlich verpeilter roman

Die Münchner Autorin Christine Wunnicke ist mittlerweile der berühmteste Geheimtipp in der deutschen Literaturszene. Die Autorin steht bereits zum dritten Mal auf der Longlist für den deutschen Buchpreis. Ihr neuer Roman heißt «Die Dame mit der bemalten Hand» und führt zugleich in exotische Gebiete und in die Historie. Dabei kämpft Wunnicke mit feinstem literarischem Florett, so unsere Kritikerin.

Die Titelfigur des neuen Romans von Christine Wunnicke gibt es wirklich: Carsten Niebuhr wird an einem vermutlich schönen 17. März des Jahres 1733 im Cuxhavener Stadtteil Lüdingworth geboren, ist studierter Mathematiker und Kartenkundiger – und wird mit 28 Jahren vom dänischen König nach Arabien geschickt, um diese und jene Frage zur Beantwortung zu bringen.

Tödliche Gefahren

Seine Kollegen an der Universität sind auf diesen Forschungsauftrag nicht besonders neidisch, so heißt es in dem Roman: «Professor Michaelis wusste die erstaunlichsten Dinge. Sprach man die Frauen und Töchter eines Mohammedaners an, wurde man umgebracht. Sagte man ein Vaterunser, wurde man ebenfalls umgebracht. Ging man zu nahe an Mekka heran, wurde man umgebracht. Selbst wenn man im Stehen und nicht auf den Knien sein Wasser abschlug und sich dabei erwischen ließ, wurde man schleunigst umgebracht. Solches hörte Niebuhr ständig».

Nichtsdestotrotz macht Niebuhr sich von Kopenhagen auf die Schiffspassage nach Konstantinopel, weiter nach Saudi-Arabien, den Jemen, Bombay, Persepolis. Seine mitreisenden Mitforscher sterben, und Niebuhr erbt ein Ressort nach dem anderen: «Von Havens Sprachwissenschaft, Forsskals Naturkunde, Baurenfeinds Zeichenkunst und endlich auch Cramers Medizin. Sogar Berggren hatte Niebuhr beerbt. Berggren war der Bediente gewesen. Er war als Vierter, auf See, bei günstigem Wind, vor der malabarischen Küste gestorben, am 30. August, einen Tag nach Baurenfeind. So war Niebuhr auch Diener geworden.»

Universalgelehrter wider Willen

Niebuhr muss sich fortan allein und als Universalgelehrter bewegen, meist in Landestracht und nur mit einem Teleskop bewaffnet. Wunnicke lässt ihren Helden auf Elephanta vor Mumbai stranden, dem damaligen Gharapuri, einer Insel, zwar voll mit Schlangen, Ziegen und Unterholz, aber vor allem bombastischen hinduistischen Höhlenanlagen. Hier trifft Niebuhr auf Meister Musa, einen persischen Konstrukteur astronomischer Instrumente – oder besser: der findet ihn.

Nachdem Meister Musa den mit Fieber geschlagenen Niebuhr aufpäppelt campieren beide bis zu ihrer Rettung von der Insel gemeinsam. Und das sich daraus entspinnende Gespräch auf den west-östlichen Diwan nun ist das Herzstück dieses herrlich verpeilten Romans, in dem sich Missverständnis an Missverständnis reiht:

'Ich kann dir nicht folgen,' stellte Niebuhr fest. 'Sorge Dich nicht um die Einzelheiten.' Meister Musa lächelte. 'Ich verbreite nur indische Stimmung, damit du dich indisch fühlst.'

Aus Christine Wunnickes Roman «Die Dame mit der bemalten Hand»

Die weitschweifigen Familienerzählungen Meister Musas, die preußischen Feststellungen Carsten Niebuhrs, sie gipfeln in einem Streitgespräch über das Sternbild der Kassiopeia, in dem der deutsche Forscher ein Damenbildnis sehen will, der persische Astronom hingegen nur deren bemalte Hand.

Treffende Porträts mit wenigen Strichen

Mit feinstem literarischem Florett nimmt sich Wunnicke in ihrem Roman einmal mehr einer Figur der Wissenschaftsgeschichte an und lässt sie in den Zeitläufen driften. Wie sie das macht, in so schmalem Format, ist absolut kunstvoll, erinnert an die Prosa von Marion Poschmann oder, will man in die Literaturgeschichte gehen, an die freundliche Ironie von James Gordon Farell oder Theodor Fontane. Manchmal reicht ein Gedanke eines Protagonisten, und die Figur ist vollends charakterisiert:

Carsten Niebuhr wollte nicht auf Elephanta sterben. […] Er wollte nicht, dass eine Insel namens Elephanta, worauf noch nie ein Elefant seinen Fuß gesetzt hatte, bei dem Kreuz hinter seinem Namen verzeichnet würde, nicht in dänischen Akten und nicht in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen.

Christine Wunnicke in «Die Dame mit der bemalten Hand»
Nachdem Wunnicke zuletzt unter Londoner Geisterseher oder zu den Nervenärzten des späten 19. Jahrhunderts gegangen ist, fächert die Versuchsaufstellung ihres neuen Romans Themen wie Kolonialisierung und interkulturelle Missverständnisse aufs Tapet. Kein Vorurteil hält dem Stand. Ihre wahnsinnig komische und kluge Kunst der literarischen Hebelwirkung, einmal mehr macht die Autorin sie uns zum Geschenk.

Ihrem Helden Carsten Niebuhr schenkt sie übrigens eine Rückkehr in zivilisierte Gebiete, statt Elephanta wird Meldorf in Schleswig-Holstein hinter seinem Sterbedatum stehen, an einem vermutlich schönen 26. April des Jahres 1815.

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