Antibiotika in der nutztierhaltung

Zwischen dem Einsatz von Antibiotika und der Prävalenz antimikrobieller Resistenzen lässt sich ein Zusammenhang belegen. Je häufiger Antibiotika einer bestimmten Stoffgruppe bei Mensch oder Tier eingesetzt werden, desto häufiger finden sich später bakterielle Krankheitserreger, die gegen diese Substanz unempfindlich sind. Die Resistenz gegen antimikrobielle Mittel stellt eine Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung dar, kann eine längere Erkrankungsdauer für die Patienten zur Folge haben, führt zu höheren Gesundheitskosten und hat wirtschaftliche Auswirkungen für die Gesellschaft (1).

Antibiotikaverbrauch im Vergleich

In Österreich werden in der Humanmedizin im niedergelassenen Bereich pro Jahr zirka 45 Tonnen Antibiotika eingesetzt. Dies entspricht bei einer Bevölkerung von 8,3 Millionen Einwohnern jährlich 9.997.350 Antibiotikapackungen (2). In der Veterinärmedizin wurden im Jahr 2014 insgesamt 53,67 Tonnen Antibiotika verkauft. Dem gegenüber stehen die etwa 5,6 Millionen Großtiere (2 Millionen Rinder, 3,1 Millionen Schweine, 415.000 Schafe und 89.000 Ziegen) und die jährlich produzierten 5,7 Millionen Legehennen und 60 Millionen Masthühner (Veterinärjahresbericht 2010, Qualitätsgeflügelvereinigung). In Deutschland werden vergleichsweise im Humanbereich 360 Tonnen und im Veterinärbereich 784 Tonnen verkauft (3). In Frankreich (60 Mill. Einwohner) gelangten im Jahr 2005 im Humanbereich mit 760 Tonnen und im Veterinärbereich mit 1.320 Tonnen relativ gesehen doppelt so viele Antibiotika zum Einsatz (4).

Programme zur Eindämmung von Antibiotikaresistenzen

Nicht nur in Deutschland wird der Antibiotikaeinsatz im Veterinärbereich dennoch aufgrund möglicher Konsequenzen für die Gesundheit des Menschen kritisch hinterfragt (5,6). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte für den World Health Day am 7. April 2011 das Thema «Antimicrobial resistance: no action today, no cure tomorrow» gewählt. In einem 6-Punkte Programm zur Bekämpfung der Ausbreitung von Antibiotikaresistenz wird unter Punkt 4D gefordert: «Restrict or eliminate the use in food-producing animals of antimicrobials identified as critically important in human medicine, especially the use of fluoroquinolones, and third- and fourth-generation cephalosporins». Als Beispiele für eine Übertragung von Resistenzen auf den Menschen werden von der WHO der Einsatz des Glykopeptids Avoparcin als Leistungsförderer mit nachfolgendem Auftreten von Vancomycin-resistenten Enterokokken beim Menschen sowie der Einsatz des Gyrasehemmers Enrofloxacin als Therapeutikum in der Geflügelproduktion mit nachfolgendem Auftreten von Ciprofloxacin-resistenten Keimen von Salmonella enterica, Escherichia coli und Campylobacter jejuni angeführt.
Auch das OIE (Weltorganisation für Tiergesundheit) hat zum Schutz der Tiergesundheit und der Lebensmittelsicherheit Empfehlungen zur Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenz entwickelt. Es bestehen Vorgaben zur Harmonisierung von nationalen Programmen betreffend Monitoring der Antibiotikaresistenz und Erfassung von Antibiotika-Mengenströmen, des Weiteren Empfehlungen zum verantwortungsvollen Gebrauch von Antibiotika in der Veterinärmedizin und zur Risikobewertung der Antibiotikaresistenz durch die Anwendung an Tieren sowie für Labormethoden zum Nachweis von Antibiotikaresistenzen.

Weiters werden auf Basis europäischer Rechtsvorschriften EU-weit Monitoringprogramme durchgeführt, welche jährlich in den EU-Berichten „EU-Summary Report on antimicrobial resistance in zoonotic and indicator bacteria from animals and food“ veröffentlicht werden. Derzeit läuft ein europäisches Projekt „European Surveillance of Veterinary Antimicrobial Consumption (ESVAC)“ zur Erhebung von Verkaufsdaten 2010 – derzeit noch freiwillige Teilnahme der Mitgliedsstaaten, an welchem auch Österreich teilnimmt. Außerdem entwickelt eine Arbeitsgruppe der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) derzeit ein europäisches Modell zur Erfassung von Antibiotika-Mengenströmen (Anwendungsdaten in der Veterinärmedizin).

Situation in Österreich

In Österreich werden im Veterinärbereich seit 2004 verpflichtend Monitorings zur Prävalenz von Zoonosen und ausgewählten Zoonoseerregern sowie deren Empfindlichkeiten gegenüber antimikrobiellen Wirkstoffen in der Nutztierpopulation Österreichs (in Form von randomisierten Stichprobenplänen bei gesunden geschlachteten Tieren – Rind, Schwein, Geflügel) durchgeführt. Durch die regelmäßige Überwachung der Resistenzsituation bei ausgewählten Erregern im Veterinärsektor werden Hinweise zur Dynamik und zu Trends von Antibiotika-Resistenzen gewonnen. Diese Ergebnisse werden jedes Jahr gemeinsam mit den im Humanbereich erhobenen Daten im österreichischen Resistenzbericht (AURES) veröffentlicht.
In Ergänzung dazu wurde 2009 / 2010 das Projekt «Methodenvergleich zur Erfassung von Antibiotikamengenströmen im Veterinärbereich in Österreich» durchgeführt. Um den Antibiotika-Einsatz auch quantitativ erfassen zu können, müssen entsprechende Mengenströme erhoben werden, da flächendeckende Daten über die Menge der im Veterinärsektor angewendeten antimikrobiellen Wirkstoffe (bottom up-Analyse) in Österreich bisher noch nicht vorliegen. Die Verkaufsdaten (top down-Analyse) für das Jahr 2010 wurden im Rahmen des EU-Projekts European Surveillance of Veterinary Antimicrobial Consumption (ESVAC) bereits erhoben.

Verbot antibiotischer Leistungsförderer

Der Einsatz des Glykopetids Avoparcin als Leistungsförderer galt als eine Ursache für das Auftreten von Vancomycin-resistenten Enterokokken beim Menschen und ist in der Europäischen Union schon seit 1997 untersagt. Im Jahr 1996 gelangten in Österreich noch ca. 2.000 kg Avoparcin als Futtermittelzusatz zur Anwendung, verglichen mit damals „nur“ 66 kg Vancomycin in der Humanmedizin (7). Das Totalverbot aller antibiotischen Leistungsförderer in der EU erfolgte mit 1. Jänner 2006 im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes, d. h. nicht (ausschließlich) auf Basis von wissenschaftlich belegten Daten (8). Während Vancomycin-resistente Enterokokken in Österreich für das öffentliche Gesundheitswesen zu keinem Zeitpunkt ein relevantes Problem darstellten, kommt diesen Erregern in den USA große klinische Bedeutung zu. Im Unterschied zu Europa war Avoparcin in den Vereinigten Staaten jedoch nie zugelassen.

Der Einsatz des Fluorchinolons Enrofloxacin als Therapeutikum in der Geflügelproduktion gilt als eine Ursache für das Auftreten Ciprofloxacin-resistenter Campylobacter. Campylobacter jejuni gilt europaweit als der wichtigste bakterielle Erreger von Gastroenteritis. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestätigte im Jänner 2011 Hühnerfleisch als Hauptursache für das Auftreten von Campylobacteriose beim Menschen (9). Die Geflügelformulierung von Enrofloxacin wurde in Österreich im August 1989 als Tierarzneimittel zugelassen, zu einem Zeitpunkt als die Resistenzraten gegenüber Gyrasehemmern (damalige Testsubstanz: Nalidixinsäure) bei humanen Campylobacter-Isolaten bei unter 3 % lagen.

Zeitgleich mit einem gesteigerten Einsatz von Enrofloxacin als unbeabsichtigte Folge des Inkrafttretens einer Geflügelhygieneverordnung zur Vermeidung der Verbreitung von Salmonellen am 1.1.1992 kam es zu einem abrupten Anstieg der Resistenz humaner Campylobacterisolate gegenüber Ciprofloxacin. Im Jahr 1992 waren bereits 16,9 % der getesteten Campylobacter-Isolate gegenüber Ciprofloxacin resistent, im Jahr 1993 22,1 %. Im Jahr 2011 (Daten bis inklusive August) waren 65 % aller humanen Campylobacter-Isolate resistent gegenüber Ciprofloxacin (Abbildung 1). Diese Resistenzentwicklung spiegelt das Geschehen in der Geflügelproduktion wider (10,11). Isolate von erkrankten Kindern (Gyrasehemmer sind zur Verwendung im Kindesalter nicht zugelassen) waren bezüglich Ciprofloxacinreistenz nicht unterscheidbar von den Isolaten anderer Altersgruppen (12).

Wenngleich Campylobacteriosen im Regelfall nicht antibiotisch therapiert werden sollten, so kommt die Europäische Arzneimittelagentur dennoch zum Schluss: «Infections in humans with fluoroquinolone and macrolide resistant Campylobacters have resulted in increased risk of hospitalisation and complications» (13). Anstiege der Resistenzen beim Menschen als Folge von Enrofloxacin-Einsatz beim Tier wurden auch im Ausland beobachtet: In den USA wurde aus diesem Grund die Geflügel-Zulassung von Enrofloxacin zurückgezogen (14). In Ländern wie Australien und Neuseeland, die den Einsatz von Enrofloxacin in der Tierproduktion nie bewilligt hatten, liegen die Resistenzarten humaner Campylobacter-Isolate unverändert bei unter 3 % (15).

Die high-level Fluoroquinolone Resistenz ist bei Campylobacter fast ausschließlich auf eine Mutation in jenem Teil des gyrA Gens zurückzuführen, der die A Untereinheit der DNA Gyrase codiert (16). Im Unterschied zur Situation bei Enterobacteriaceae reicht bei Campylobacter also eine einzige Mutation zum Erwerb kompletter Ciprofloxacin-Resistenz aus. Dies erklärt, warum die Resistenzraten gegenüber Ciprofloxacin bei Salmonellen deutlich niedriger sind. In Österreich gab es im Jahr 2010 «nur» 19 Ciprofloxacin-resistente humane Salmonella-Isolate sowie 9 Stämme mit Resistenz gegenüber Drittgenerations-Cephalosporinen (17).

0 Kommentare