Faktencheck zu «maischberger. die woche»

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:
  • Wie gefährlich wäre eine Corona-App für den Datenschutz?
Wie gefährlich wäre eine Corona-App für den Datenschutz?

In der Debatte darüber, wie wir möglichst schnell wieder zu einem alltäglichen Leben ohne Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren zurückkehren können, wurde als vielversprechende Lösung zuletzt immer wieder die Nutzung einer speziellen Handy-App hervorgehoben, die es ermöglichen soll, Infektionsketten präzise zu identifizieren. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hält eine solche Lösung für durchaus sinnvoll, wie er in unserer Sendung erklärte. Kritiker sorgen sich indes um den Datenschutz. Kabarettist Florian Schroeder z.B. warnte bei uns im Studio vor einer voranschreitenden digitalen Überwachung.

Maischberger: «Ein Beispiel ist die Nutzung von Handy-Daten. Also, wie ich es verstanden habe: Ich lade mir eine App herunter, freiwillig. Ich bin infiziert. Sie (gemeint ist Stephan Weil, Anm. d. Red.) haben dieselbe App. Ich gehe an Ihnen vorbei. Ihr Handy nimmt quasi auf: diese Person ist an der vorbeigegangen. Und nach zwei Wochen kriegen Sie eine Push-Mitteilung 'Achtung, Sie waren in Kontakt mit einer infizierten Person!' Daraufhin lassen Sie sich testen. Kommt das?»

Weil: «Ich hoffe. Ich finde es jedenfalls sehr plausibel. Es hat ja den großen Vorteil, dass es einfach eine freiwillige Maßnahme ist.»

(…)

Schroeder: «Ich hoffe, dass es diese App nur freiwillig geben wird. Ich halte es schon für einen Fehler, ehrlich gesagt, dass es sie überhaupt gibt. Weil der nächste Schritt ist ja, dass man sagen wird, naja, wer sie nicht nutzt, der kommt hier nicht mehr rein und da nicht mehr rein. Und wir sind in der kompletten digitalen Überwachung.»

Stimmt das? Wie gefährlich wäre eine Corona-App für den Datenschutz?

Wie kürzlich bekannt wurde, arbeiten über hundert Wissenschaftler und Ingenieure aus mehreren europäischen Ländern seit Wochen an einer App zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Zu den insgesamt 17 Instituten und Organisationen, die an dem Projekt beteiligt sind, zählen auch das Robert-Koch-Institut (RKI) und das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut (HHI). Die Idee hinter der App hat Thomas Wiegand, Leiter des Fraunhofer HHI, gemeinsam mit anderen Beteiligten vor wenigen Tagen dem «Spiegel» vorgestellt. Demnach sollen Nutzer, die sich die App zuvor freiwillig auf ihr Smartphone geladen haben, nachträglich informiert werden, wenn sie sich für einen längeren Zeitraum in kritischer Nähe zu einer infizierten Person aufgehalten haben. Wer der Infizierte war und wann oder wo genau der Kontakt stattgefunden hat, werde nicht ermittelt. Die App setze ausdrücklich auf Datensparsamkeit. «Wir müssen aus medizinischer Sicht gar nicht wissen, wo der Kontakt stattgefunden hat, um Infektionsketten zu unterbinden», erklärte Marcel Salathé, einer der App-Entwickler von der EPFL Lausanne, gegenüber dem «Spiegel».

Die technische Umsetzung soll mittels Bluetooth Low Energy erfolgen. Alle Nutzer müssen also Bluetooth an ihrem Smartphone aktivieren. Die App generiert temporäre IDs, damit die Nutzer nicht identifizierbar sind. Nähert sich ein anderes Smartphone, das die App ebenfalls nutzt, tauschen beide ihre jeweiligen IDs via Bluetooth aus und speichern sie verschlüsselt und lokal. Erst wenn bei einem Nutzer eine Corona-Infektion diagnostiziert wird, bittet der Arzt den Nutzer, seine Kontaktliste an den zentralen Server zu übertragen. Der Server kann aus den IDs nicht entschlüsseln, welche Menschen sich dahinter verbergen, er kann aber alle betroffenen Handys per Push-Nachricht informieren, dass sie in kritischer Nähe zu einer infizierten Person waren. Verbunden ist dieser Hinweis mit der Aufforderung, sich in Quarantäne zu begeben und das zuständige Gesundheitsamt zu kontaktieren. Die App setzt nach diesem Modell also ausdrücklich auf die Freiwilligkeit und die aktive Mithilfe der Bevölkerung. Entscheidend für den Erfolg ist also auch, dass möglichst viele Menschen die App herunterladen. Zwischen 60 und 70 Prozent aller Smartphone-Benutzer seien für eine Flächendeckung notwendig, schätzt Thomas Wiegand.

Datenschutzrechtliche Bedenken könnten jedoch viele potentielle Nutzer zögern lassen. Ist die Corona-App ein gefährlicher Schritt in die digitale Überwachung, wie Kritiker befürchten? Die Gesellschaft für Informatik (GI) befasst sich immer wieder kritisch mit drohenden Datenschutzverletzungen. Eine Bluetooth-basierte App zur Eindämmung der Pandemie, wie sie von den Entwicklern skizziert wurde, hält GI-Präsident Prof. Dr. Hannes Federrath unter gewissen Voraussetzungen für unbedenklich:

«Die Bluetooth-Technologie, wie sie im Fall der anvisierten Corona-App eingesetzt werden soll, hat gegenüber der Verwendung beispielsweise der Ortungsdaten aus dem Mobilfunk den Vorteil, dass die Distanzen zu anderen Smartphones in der Nähe sehr präzise gemessen werden können und nur lokal im Handy gespeichert sind. Es werden keine Bewegungsprofile vom Nutzer erstellt und alle Daten werden unter ständig wechselnden Kennungen gespeichert. Bei dieser App geht es ja vorrangig darum festzustellen, ob sich jemand über eine längere Zeit in weniger als zwei Meter Abstand zu einem Infizierten aufgehalten hat. Die Identität der Nutzer ist für die Benachrichtigung überhaupt nicht notwendig und soll deshalb auch nirgendwo gespeichert werden. Wenn die Daten verschlüsselt übertragen werden und zeitlich befristet – die Rede ist von 21 Tagen – gespeichert werden, dann spricht aus datenschutzrechtlicher und IT-sicherheitstechnischer Sicht nichts gegen einen Einsatz dieser Anwendung.»

So betonte auch Softwareentwickler Chris Boos, der Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung ist, gegenüber dem «Tagesspiegel»: «Unser Ziel ist es, Covid-19 zu bekämpfen, ohne die Leute auszuspionieren.» Asiatische Länder wie z.B. Singapur nutzen bereits eine ähnliche Bluetooth-App, speichern dabei aber auch Kontakte zwischen Smartphones auf Basis persönlicher Daten wie der Mobilfunknummer. Noch weiter geht man in Hongkong: Hier überwacht der Staat die Einhaltung der Quarantäne durch ein Armband, das in Verbindung mit einer App die individuelle Standortermittlung ermöglicht. Aber auch in Polen z.B. müssen Patienten, die sich in Quarantäne befinden, die strikte Einhaltung mittels App nachweisen.

Die Entwicklung der datensparsamen Bluetooth-App soll zwischen dem 7. und 9. April abgeschlossen sein, so Chris Boos. Ab dem 15. April könnten dann erste Apps in Deutschland verfügbar sein. Den Entwicklern zufolge könnte die App bald auch in Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Spanien und der Schweiz erscheinen.

Kritiker, wie auch unser Studiogast Florian Schroeder, warnen jedoch vor dem sozialen Druck, der von einer solchen App ausgehen könnte. So mahnte etwa der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Patrick Breyer (Piratenpartei) gegenüber dem «Tagesspiegel»: «Können wir wirklich darauf vertrauen, dass so eine App freiwillig und zweckgebunden bleibt? Und wie freiwillig ist so eine App am Ende wirklich?»

Der CDU-Wirtschaftsrat hält die Einführung einer freiwilligen App indes offenbar für unzureichend und fordert eine weitergehende Datenüberwachung. Laut FAZ heißt es in einem entsprechenden Positionspapier, das der Zeitung exklusiv vorliege: «Zur Nachverfolgung von Infektionsketten sind weitreichendere, verpflichtende Schritte erforderlich. (…) Freiwillige Maßnahmen zur Nachverfolgung von Infektionsketten haben nicht dasselbe Potential wie behördlich angeordnete Maßnahmen.» Der Wirtschaftsrat fordere eine deutlichere Orientierung an Ländern wie Südkorea, um den normalen Alltag und das wirtschaftliche Leben möglichst schnell wiederherzustellen.

Fazit: Wie können wir möglichst schnell zu einem normalen Alltag zurückkehren, ohne einen abrupten Anstieg der Infektionszahlen zu riskieren? Als effektive Lösung wird aktuell der Einsatz einer Handy-App diskutiert, mit deren Hilfe sich Infektionsketten präzise identifizieren lassen sollen. Kritiker äußern hier jedoch datenschutzrechtliche Bedenken. Tatsächlich arbeiten zahlreiche Forscher und Entwickler aus mehreren europäischen Ländern seit einigen Wochen an einer solchen App, die mittels Bluetooth-Technik ihre Nutzer warnen soll, wenn diese sich über einen längeren Zeitraum in kritischer Nähe zu einer infizierten Person befunden haben. Die Nutzung der App soll freiwillig sein, der Datenaustausch anonymisiert erfolgen. Personenbezogene Daten werden nicht gesammelt. Angesichts dieses Designs gilt die App auch unter zahlreichen Datenschützern als weitgehend unbedenklich. Kritiker verweisen darüber hinaus jedoch auch auf den sozialen Druck, der durch eine App entstehen könnte und das Prinzip der Freiwilligkeit somit aufheben würde. Ob ein solcher Effekt tatsächlich eintritt, wird sich wohl erst in der Praxis einschätzen lassen. Die App könnte ab dem 15. April in Deutschland verfügbar sein.

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